Von erheblicher Bedeutung für die angewandte Prävention erscheinen mir die erst kürzlich präsentierten Leitlinien Fluoridierungsmaßnahmen. Ich bin sicher, dass sich viele von Ihnen noch an die heftigen Diskussionen erinnern, die die Fluoridierungsempfehlungen der DGZMK aus dem Jahr 2000 verursachten. Die Empfehlungen bewirkten seinerzeit erhebliche Irritationen bei den niedergelassenen zahnärztlichen Kollegen und führten, vor allem auch aufgrund der „Herabstufung des Wertes der Fluoridtabletten bei gleichzeitiger Bevorzugung floridhaltiger Kinderzahnpasten“ zu einem heftigen Dissens mit den Kinderärzten. Konsequenz: Vielerorts kam es zu einer Aussetzung bislang bewährter Fluoridierungsmaßnahmen in den ersten Lebensjahren.
Die Bundeszahnärztekammer hat nun, gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für Zahnerhaltung, eine Gruppe von Wissenschaftlern mit der Erstellung einer Leitlinie zum Thema „Fluoridierungsmaßnahmen“, beauftragt. Diese Leitlinien, aufgestellt als Orientierungshilfe im Sinne eines „Behandlungskorridors“, zielen auf die für die angewandte Präventivzahnmedizin wesentliche Frage, ob und wie sich mit den bekannten Fluoridierungsmaßnahmen wirksam Kariesprophylaxe betreiben lässt.
Für die Erarbeitung der Leitlinien wurden ausschließlich klinische Studien (aus den Jahren 1980 bis 2004) mit der Zielvariable „Kariesreduktion im Milchgebiss und bleibenden Gebiss“ sowie bereits vorhandene Leitlinien und „qualifizierte Empfehlungen anderer wissenschaftlicher Gremien“ herangezogen. Die Ergebnisse dieser Literaturaufbereitung wurden in mehreren
Konsensusverfahren mit anderen Institutionen (u. a. der Pädiater, Ernährungswissenschaftler, berufspolitische Verbände) abgestimmt und in Form einer Langfassung sowie – aus Gründen
der Praktikabilität – in einer komprimierten Version, so genannten„Thesen zur Leitlinie“, unter Angabe der Evidenzgrade zusammengefasst. Die wichtigsten Ergebnisse in Auszügen (bitte beachten Sie meinen Hinweis am Ende dieses Beitrages zum vollen Wortlaut der Thesen):
- Die Verwendung fluoridhaltiger Zahnpasta ist eine wirksame kariespräventive Maßnahme. Der kariespräventive Effekt im bleibenden Gebiss steigt mit zunehmender Fluoridkonzentration in der Zahnpasta, häufigerer Verwendung und höherer Kariesaktivität.
Grad der Empfehlung: A (starke Empfehlung) - Die Wirksamkeit von Zahnpasten mit niedrigem Fluoridgehalt (250 bis 500 ppm) ist bislang nicht ausreichend gesichert; die dazu vorliegenden Ergebnisse sind uneinheitlich!
Grad der Empfehlung: O (Empfehlung offen) - Die Speisesalzfluoridrung ist eine wirksame kariespräventive Maßnahme
… Die Anwendung wird generell empfohlen.
Grad der Empfehlung: B (Empfehlung) - Fluoridtabletten sind kariespräventiv wirksam. Da der Effekt bei durchgebrochenen Zähnen auf der lokalen Wirksamkeit des Fluorids beruht, sollten sie regelmäßig gelutscht werden …
Grad der Empfehlung: A (starke Empfehlung) - Die Fluoridlackapplikation ist eine wirksame kariesprophylaktische Maßnahme. Bei Kindern und Jugendlichen kann sie zwei- oder mehrmals jährlich und unabhängig von anderen Fluoridierungsmaßnahmen durchgeführt werden.
Grad der Empfehlung: A (starke Empfehlung) - Die Fluoridgelapplikation ist eine wirksame kariesprophylaktische Maßnahme und kann unabhängig von anderen Fluoridierungsmaßnahmen durchgeführt werden, vorausgesetzt, das Gel wird nicht geschluckt …
Die Anwendungsform hängt von der Compliance des Patienten ab und sollte individuell gewählt werden.
Grad der Empfehlung: A (starke Empfehlung) 7. Bei niedriger Kariesaktivität und regelmäßiger Mundhygiene mit fluoridhaltiger Zahnpasta wird die Anwendung fluoridhaltiger Mundspüllösungen nicht empfohlen. Bei Personen mit erhöhter Kariesaktivität führt die kontrollierte Anwendung von Mundspüllösungen zu einer Reduktion des Kariesanstiegs und kann unabhängig von anderen Fluoridierungsmaßnahmen
durchgeführt werden …
Grad der Empfehlung: A (starke Empfehlung).
Kurzkommentar
Genau die Aussagen der DGZMK aus dem Jahre 2000 (bezüglich der Wertigkeit von Tablettenfluoridierung und Kinderzahnpasta), die seinerzeit zu den genannten Irritationen u. a. auch mit den Kinderärzten und der Gesellschaft für Präventive Zahnheilkunde führten, wurden ganz offensichtlich revidiert. Wie anders soll man es interpretieren,wenn aufgrund der Leitlinien die Fluoridtabletten stark empfohlen werden, jedoch offensichtlich für die Empfehlung der Kinderzahnpasta keine wissenschaftliche Basis vorliegt …
Es ist – aus der Sicht der angewandten Prävention – außerordentlich zu begrüßen, dass mit den Leitlinien nunmehr ein „erster Ansatz für eine wirksame und praktikable Handhabung der gebräuchlichsten Fluoridierungsmaßnahmen“ vorliegt.
Trotz kleiner handwerklicher Mängel, die möglicherweise gar nicht bewusst, sondern redaktioneller Natur sind (Wieso ist die Anwendung von Fluoridlack nur auf die Kinder und Jugendlichen beschränkt? Wirkt Fluoridlack beispielsweise bei Erwachsenen nicht? Wieso wird bei der Applikation von Fluoridgelen keine Altersbeschränkung vorgenommen? Wieso wird die Indikation der Anwendung von Fluoridgelen nicht – ähnlich wie bei den Mundspüllösungen – auf Personen mit erhöhtem Risiko reduziert, obwohl eine entsprechende Meta-Analyse vorliegt?), ein großes Lob an die Autoren, die den „Dschungel der Fluoridliteratur“ durchforstet und ein für die Praxis relevantes Ergebnis produziert haben.
Vermisst habe ich zudem Aussagen zur Toxikologie von Fluorid – aber vielleicht werden diese Daten ja bei der nächsten Überarbeitung der Leitlinien berücksichtigt …
Übrigens
Eine Kurzfassung der Leitlinie «Fluoridierungsmaßnahmen zur Kariesprophylaxe» finden Sie im Internet unter http://www.dgzmk.de/